Ziele des Geographieunterrichts


© Eberhard Schallhorn

Ziele des Geographieunterrichts

 

Die Frage nach den Zielen, die ein Unterrichtsfach im Fächerkanon der Schule erreichen will, ist entscheidend für sein Selbstverständnis. Je anspruchsvoller die Ziele, desto anspruchsvoller der Unterricht und desto bedeutender der Anteil an den zur Verfügung gestellten Gesamtstunden – möchte man meinen. Die Realität zeigt, dass die Einteilung der Unterrichtsfächer in Haupt- und Nebenfächer, in Grund- und Leistungskursfächer, in Kernkompetenz-, Profil- und Neigungsfächer nach anderen Kriterien erfolgt als nach den Zielen, die sich die Fächer selbst setzen. Die Schulgeschichte spielt da eine große Rolle zusammen mit der Bewertung der Unterrichtsinhalte eines Faches in der Öffentlichkeit und damit insbesondere die Bildungspolitik.

Das Fach Geographie ist in der Schule in Deutschland ein „Nebenfach“, also in den meisten Klassenstufen zwar versetzungserheblich; es gelten hier aber doch nicht die gleichen strengen Regeln wie für ein „Hauptfach“, was  die Ermittlung der schriftlichen und mündlichen Noten sowie die Anforderungen in der Schulabschlussprüfung betrifft. Als Nebenfach ist es im Schülerbewusstsein deutlich zweitrangig; es scheint auch nicht zufällig zu sein, dass die Geographiestunden mehr als die Stunden anderer Fächer oft eher die letzten Unterrichtsstunden des Vormittags sind oder sogar für den Nachmittag eingeplant werden. Unterrichtsmittel des Faches werden erst angeschafft, wenn die „Hauptfächer“ versorgt sind.

Damit hat – wie andere Nebenfächer – das Schulfach Geographie von Anfang an ein entscheidendes Handicap. Auch wenn die Fachvertreter und die Fachdidaktik die Geographie an der Schule als eines der wichtigen Fächer definieren, so ist ihm doch auch von Seiten der Bildungspolitik in der Schule – höchstens – Zweitrangigkeit zuerkannt. Sie manifestiert sich in Schuljahren, in denen das Fach nicht oder nur einstündig vertreten ist. Die schriftliche Abiturprüfung – bedeutend für die Motivierung der Oberstufenschüler – ist eher die Ausnahme.

Die Formulierung der Ziele eines Faches hat aber zentrale Bedeutung für die Methoden und Inhalte. Ziele ergänzen zusammen mit den Inhalten und Methoden  das „didaktisches Dreieck“ (z. B. Jank/Meyer 2002, S. 55), das Lehrer, Schüler und Stoff in eine Wechselbeziehung stellt . Mit „Zielen“ sind hier weniger die Lernziele der konkreten Unterrichtsstunde oder -einheit als vielmehr die Ziele gemeint, die mit der Unterrichtung des Faches in der Schule insgesamt verfolgt werden. Die Frage stellt sich: „Gibt es im Fächerkanon der Schule etwas, das spezifisch nur vom Fach Geographie geleistet werden kann und das es darum notwendig macht, dieses Fach in der Schule zu unterrichten?“

Die siebzehnjährige Schülerin Kathi Höhendinger äußert sich über den Verlauf einer Erdkundestunde: „7.55 Uhr: Erdkunde. Mein Erdkundelehrer ist ein eingebildeter Schnösel. Ich kenne niemand anderen, der so ganz ohne Grund so sehr von sich selbst überzeugt ist. [Folgt der Bericht über eine Geburtstagsgratulation während der Unterrichtsstunde. Verf.] Im Unterricht besprechen wir die Alpen. Das Thema nehmen wir jetzt schon seit Anfang des Jahres durch. Ich werde noch ein Trauma davontragen.“ (Höhendinger, in: Gleba/Spindler 1999).

Aus diesen Worten spricht nicht viel Freude oder Interesse an dem Fach Geographie. Die Schulwirklichkeit bestätigt, dass diese Auffassung nicht singulär ist, wenn das Fach mit Ausdrücken wie „Erdkäs“ belegt wird oder ihm die Vermittlung von „Briefträgerwissen“ (d. .i. singuläres topographisches Wissen) zugewiesen wird – das allerdings dann, wenn es doch nicht vorhanden ist („An welchem Fluss liegt Washington?“), wiederum auf das Fach negativ zurückschlägt („Was, das weißt du nicht? Ja, hast du denn keinen Geographieunterricht?“). Das Bestreben, das Schulfach auch in der Schule nicht länger Erdkunde, sondern Geographie zu nennen, könnte zumindestens in der Fachbezeichnung eine neue und berechtigte Ernsthaftigkeit mitschwingen lassen.

Dass trotzdem – wie Köck (1997)  belegt hat – großes Interesse an Fragen besteht, die Geographen zu den ihrem Fach immanenten rechnen, wirft ein Schlaglicht darauf, dass Geographieunterricht ein Geflecht von vielen Faktoren ist, unter denen – neben dem Lehrplan und dem Image des Faches an der jeweiligen Schule – beispielsweise die Persönlichkeit und das Engagement des Lehrers sicherlich eine jeweils hochrangige Bedeutung einnehmen.

Heute spielen das Ergebnis, der Nutzen  einer Anstrengung  schon in der Schule eine große Rolle. Das Abitur wird nicht mehr um der Bildung willen angestrebt, sondern weil man mit seiner Bewältigung zumindest eher als ohne die Gewähr hat, in seinem Leben zu den mehr Verdienenden zu gehören. Das bestätigt beispielsweise die Bildungsuntersuchung 2002 der OECD:

Zwischen Bildungsstand und Einkommen besteht ein positiver Zusammenhang. Insbesondere der Abschluss im Sekundarbereich II stellt in vielen Ländern einen Wendepunkt dar. Ab hier bringt jede zusätzliche Ausbildung einen besonders hohen Einkommenszuschlag mit sich. (OECD 2002, S. 12)

Überspitzt ausgedrückt ertragen viele von ihnen die Jahre, die der Abschlussprüfung vorausgehen, „mit Fassung“. Dass Versäumtes dann später oft bedauert wird, steht auf einem anderen Blatt. Dem entspricht die Bildungspolitik, die als vorrangiges Ziel der Schule definiert hat, den Schülern „Kompetenzen“ zu vermitteln.

Insbesondere mit dem Einsetzen der Pubertät stehen eigentlich ganz andere Inhalte, als sie der Unterricht vermittelt, im Mittelpunkt des Schülerinteresses. Selbst in der Oberstufe des Gymnasiums – so zeigt die Erfahrung – ist das Interesse am behandelten Fachinhalt bei vielen eher marginal. Minimierung des Aufwandes für die Schule und damit Maximierung der persönlichen Freizeit  (die dann doch keine freie Zeit ist, sondern durch die Ausübung eines „Jobs“ belegt ist), die Persönlichkeit des unterrichtenden Lehrers, Stundenplanoptimierung oder das Wahlverhalten des Freundes bzw. der Freundin sind bei der Entscheidung für die Wahl des Faches Geographie – wenn es denn gewählt werden kann – wichtiger.

Nur Wenige erkennen, dass eigenes Interesse in Art einer Kettenreaktion die eigene Schulerfahrung verändert: Interesse führt zu eigenständigem Lernen, zu Aktivität im Unterricht, zu besseren Leistungen und besserer Beurteilung, zu Kontakt mit dem Lehrer, schließlich zur Erfahrung von Schule als einer Institution, die die eigenen Interessen fördern und verstärken kann.

Ein Neuntklässler erklärte einmal auf die Frage, warum er das Abitur anstrebe, mit großem Nachdruck, weil er später einmal einen Beruf ausüben möchte, der es ihm erlaube, im Anzug in einem Büro zu sitzen.

Aber auch persönliche Erfahrungen tragen zum Wertverständnis über das Schulfach Geographie bei, die den Schüler fragen lassen und den Sinn des Faches Geographie hinterfragen, z. B.:

– Was kümmert mich die naturgeographische Ausstattung eines Raumes, wenn sich der Mensch doch darüber hinwegsetzt?

– Was bringt es mir, wenn ich im Geographieunterricht über die Not und das Elend der Menschen in vielen Staaten der Welt erfahre und ich doch innerhalb meines absehbaren Lebensplanes nichts  daran ändern kann?

– Was bringt es mir, wenn mir der Geographieunterricht die ökologischen und sozialen Folgen  für die Lebensweisen von Menschen in fernen Touristenzentren  durch die Reisebranche analysiert – ich aber gerade dort meinen Urlaub verbringen möchte, weil es dort am billigsten ist?

– Was kümmert mich die intensive Landwirtschaft mit ihrer Schädigung des Bodens oder der artfremden Tierhaltung, wenn ich beim Öko-Bauern das Doppelte bezahlen muss?

– Was kümmert mich der „ökologische und soziale Rucksack“ von billigen Rosen, die zum Valentinstag in meiner Schule von den einen gekauft und an andere verschenkt werden, wenn die unbelasteten, aber teuren „alternativen“ Blumen keiner verschenkt, die SMV-Kasse dadurch leer bleibt und das Happening, das mit der Aktion verbunden ist, nicht zustande kommt?

– Was kümmert mich die Notwendigkeit, nachhaltig zu wirtschaften – wenn es andere nicht tun?

Die Cicero zugeschriebene Frage „Cui bono?“ bekommt auch für den Schüler, der von Cicero bisher nicht viel gehört hat, eine Bedeutung: „Was nützt es mir, wenn ich mich mit dem Inhalt beschäftige? Bringt mir das was?“ Und die Antwort ist wenigstens bei vordergründigem und kurzfristigem, gleichwohl aktuellem Denken allzu oft negativ.

Diese Gegebenheiten, die hier zugegeben fokussiert dargestellt wurden, betreffen nicht nur das Schulfach Geographie, sondern Schule insgesamt. Für die Geographie sind sie aber schmerzvoller, weil geographische Inhalte (Klimaveränderung, Bodenerosion, Desertifikation, Bevölkerungswachstum, Stadtentwicklung, Verkehr, Wirtschaft u.a.)  in der Regel Teil von dem sind, was die Menschheit insgesamt wird bewältigen müssen.

Aber vielleicht ist es gerade wegen der  Anonymität der Masse („Menschheit“) so schwierig, im Geographieunterricht dem Einzelnen Verhaltensweisen  zu vermitteln, die – wenn sie denn eingehalten werden – nur einen winzigen Beitrag, eben den des Einzelnen, zum Ganzen zufügen. Das Ganze ändert sich nur, wenn sich die Einzelheiten ändern, aber das Ganze bleibt unübersichtlich. Verhaltensforderungen an den Einzelnen sind ohne seine innere Zustimmung subjektiv belastend. Deswegen ist gerade erfolgreicher Geographieunterricht auch abhängig von der Bereitschaft des Schülers, sein Verhalten gegenüber der Wirklichkeit zu reflektieren und sein Verhalten entsprechend seinem Wissen anzupassen – auch gegen den Trend oder die Gewohnheiten seiner Clique.

Die Lernzieldiskussion der 1970/80er Jahre, die im Fach Geographie ihren sichtbaren Ausdruck im „Raumwissenschaftlichen Curriculum- Forschungsprojekt (RCFP)“ des Zentralverbandes der Deutschen Geographen (1978) gefunden hat, ist letztlich daran gescheitert, dass die Vielzahl der möglichen Lernziele zur Beliebigkeit führte. Aber Konsens bestand seinerzeit auch nicht darin, welches Ziel Schule insgesamt haben soll. Geht es bei „Schule“ darum,

– in der Tradition Wilhelm von Humboldts Bildung zu vermitteln?

– die Schüler zu Bürgern zu erziehen, die in einer von der Wirtschaft bestimmten Welt „funktionieren“?

– mündige, verantwortlich handelnde und kritische Bürger zu erziehen?

– den Schülern Wissen zu vermitteln?

– erzieherische Defizite des Elternhauses auszugleichen?

– allen Gleiches zu vermitteln?
– sollen die Fähigeren mehr lernen, aber auch mehr leisten?

– eher Methoden und Fertigkeiten zu vermitteln als Wissen, das doch mit zunehmender Geschwindigkeit „veraltet“?

– die Unterrichtsinhalte den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Schüler anzupassen?

– den Schülern oft mühsam beizubringen, was die Gesellschaft für wichtig erachtet – das andere bringen sie sich – spaß- und lustbetont –  ohnehin selbst bei?

Für die Diskussion der einzelnen Fragen oder gar ihre Antworten  ist hier nicht Platz. Die Entscheidung für die eine oder andere Auffassung trifft die Bildungspolitik. Sie ist jedenfalls „fachfremd“ und folgt dem „Zeitgeist“, d.h. denen, die in der jeweiligen Zeit die engsten Beziehungen zu den Entscheidenden oder die beste Lobby und Öffentlichkeitsarbeit haben. Dabei ist zu beachten, dass die „heute“ erforderlichen Bildungsgrundsätze möglicherweise die falschen sind, weil sie Schülern vermittelt werden, die „morgen“ ihr eigenes Leben gestalten müssen.

In einer Anzeige, die zum Kauf eines Methodenlehrwerkes für die Grundschule ermuntern soll, heißt es im April 2003: „Lernkompetenz, Selbstständigkeit, Zielstrebigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Teamfähigkeit – das sind die Kompetenzen, die heute gefragt sind.“  Wie schnell diese „Kompetenzen“, die Grundschüler von heute lernen sollen, die von gestern sein können, wenn die Schüler morgen erwachsen sind, zeigt beispielsweise ein Beitrag der Wirtschafts- und Finanzzeitung „Handelsblatt“ aus dem gleichen Zeitraum: „Echter Teamgeist ist in vielen Unternehmen ein Karrierekiller geworden.“ (HB vom 28./29. März 2003).

Der  „Bildungsplan Kursstufe“ des Landes Baden-Württemberg aus dem Jahre 2001 setzt für alle Absolventen des Gymnasiums das Ziel, „Offenheit für ein lebensbegleitendes Lernen zu erreichen“ (Bildungsplan Kursstufe BAW 2001, S. 5.). Damit ist ein eigentliches Ziel des Lernens nicht mehr vorgegeben; der Weg selbst ist das Ziel.

Staat und Wirtschaft profitieren vom Heilsversprechen des lebenslangen Lernens, weil sie die Schuld an der Arbeitslosigkeit dem Einzelnen zuschieben können: Kein Job? Wohl nicht genügend gelernt, das hast du davon. (…) Lernen soll Menschen in die Lage versetzen, einem System in die Hände zu arbeiten, dessen Triebkraft nicht Humanisierung der Welt, sondern schlicht Profit ist. Es geht nicht darum, Arbeitnehmer zu selbstbewussten, mündigen Menschen zu machen, die gesellschaftliche Zustände durchschauen und auf Basis ihrer Interessen mitgestalten. (…) Heute tritt für immer mehr Menschen sinnloses Lernen an die Stelle des sinnlosen Arbeitens. Genauso wenig  wie der Inhalt des Arbeitens hinterfragt wird, wird nun nach dem Ziel von Bildung gefragt. (…) Lernen hat etwas damit zu tun, den Kopf zu lüften und den eigenen Horizont zu erweitern. (…) Lernen braucht freie Zeit. (Ribolits 2003.)

Konsensfähige Ziele des Geographieunterrichts haben mindestens vier fachspezifische  Eckpunkte:

– Geographie beschäftigt sich mit der Erde;

– Geographie enthält natur- und kulturwissenschaftliche Inhalte;

– Geographie verknüpft die einzelnen Inhalte in komplexer Weise und versucht, sie jeweils als Teil eines Systems zu betrachten und darzustellen;

– Geographie zielt auf das Verständnis für das Gewordensein und das Werden von Natur- und Kulturräumen sowie auf die Lebens- und Wirtschaftsweisen bzw. -möglichkeiten des Menschen.

Auf dieser Grundlage hat die „Kommission Geographische Erziehung“ der Internationalen Geographischen Union im Jahre 1992 die „Internationale Charta für geographische Erziehung“ veröffentlicht.

Die IGU wurde 1871 gegründet. Eine der Kommissionen der IGU ist die Kommission Geographische Erziehung. Sie wurde 1952 in Washington gegründet und besteht aus dem Vorsitzenden, zehn „full members“, einem Sekretär, „regional correspondents“ von 60 Ländern und über 400 Mitgliedern. Zur Zeit der Erarbeitung der „Internationalen Charta“ waren  66 Länder Mitglieder der IGU.

Ohne in den Verdacht zu geraten, der einen oder anderen bildungspolitischen Richtung in positiver oder negativer Richtung zu nahe zu treten, kann sie herangezogen werden, um die Ziele des Geographieunterrichts objektiv zu umschreiben. In der Charta heißt es:

Durch geographische Erziehung werden Schüler ermutigt, Wissen und Erkenntnisse, Fähigkeiten, Einstellungen und Werte zu gewinnen. Sie entwickeln insbesondere

Kenntnisse und Verstehen:
• von Orten und Räumen, um nationale und internationale Ereignisse in einen geographischen Rahmen einordnen und grundlegende räumliche Beziehungen verstehen zu können;
• der wichtigsten natürlichen Systeme der Erde (Landformen, Böden, Wasserkörper, Klimate, Vegetation), um die Interaktion innerhalb und zwischen Ökosystemen zu verstehen;
• der wichtigsten sozio-ökonomischen Systeme der Erde (Landwirtschaft, Siedlung, Transport, Industrie, Handel, Energie, Bevölkerung u.a.m.), um Einsicht in Orte und Räume zu erhalten, d.h. den Einfluss natürlicher Bedingungen auf menschliche Aktivitäten einerseits und verschiedener Kulturen, Religionen, technischen, wirtschaftlichen und politischen Systeme, verschiedenartige Umwelten zu schaffen, andererseits zu verstehen;
• der Verschiedenheit der Völker und Gesellschaften auf der Erde, um den kulturellen Reichtum der Menschheit schätzen zu können;
• der Strukturen und Prozesse in Heimatregion und Heimatland als dem täglichen Handlungsraum sowie
• der Herausforderungen und Chancen der globalen Abhängigkeit.

Fähigkeiten zur:
• Nutzung verbaler, bildhafter, quantitativer und symbolischer Informationsformen wie Texte, Bilder, Graphik, Tabellen, Diagramme und Karten;
• Anwendung solcher Methoden wie Feldbeobachtung und -kartierung, Interview, Interpretation sekundärer Quellen und Anwendung von Statistik; und
• Anwendung von kommunikativen, Denk-, praktischen und sozialen Fähigkeiten, um geographische Fragen lokalen bis internationalen Maßstabs zu beantworten. Ein derartig entdeckendes Verfahren ermutigt:
– Fragen und Probleme zu erkennen;
– Informationen zu sammeln und zu strukturieren;
– Daten zu bearbeiten;
– Daten zu interpretieren;
– Daten zu bewerten;
– Regeln zu erarbeiten;
– Regeln anzuwenden;
– Urteile zu fällen;
– Entscheidungen zu treffen;
– Probleme zu lösen;
– sich in Teamsituationen kooperativ zu verhalten;
– den Einstellungen und Einsichten entsprechend zu handeln.

Auf diesem Weg leistet die geographische Erziehung einen Beitrag zur Kommunikationsfähigkeit – zu Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Reden, Rechnen und graphische Gestaltung und ebenso zur Entwicklung der Persönlichkeit und sozialen Kompetenz, insbesondere bezogen auf die räumliche Dimension des täglichen Lebens vom lokalen bis zum globalen Maßstab.

Einstellungen, Werte und Verhalten
Geographieschüler/innen werden durch ihre geographischen Studien ermutigt:
• reges Interesse an ihrem Lebensraum und an der Vielfalt der natürlichen und kulturellen Erscheinungen auf der Oberfläche der Erde zu nehmen;
• die Schönheit der natürlichen Welt einerseits und die Verschiedenheit der Lebensbedingungen der Menschen andererseits zu schätzen;
• über die Qualität der Umwelt und den Lebensraum zukünftiger Generationen besorgt zu sein;
• die Bedeutung von Werten und Einstellungen bei Entscheidungsfindungen zu verstehen;
• bereit zu sein, geographische Kenntnisse und Fähigkeiten im privaten, beruflichen und öffentlichen Leben angemessen zu nutzen;
• die Gleichberechtigung aller Menschen zu respektieren;
• sich für die Lösung lokaler, regionaler, nationaler und internationaler Probleme auf der Basis der „Universellen Erklärung der Menschenrechte“ zu engagieren.

Geographie und internationale, ökologische sowie entwicklungspolitische Erziehung

Internationale Erziehung
Die geographische Erziehung leistet einen bedeutenden Beitrag zur internationalen Erziehung so wie beschrieben in den „Empfehlungen zur Erziehung zum internationalen Verständnis, zu Kooperation und Frieden und zur Erziehung für die Verwirklichung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ (18. UNESCO Konferenz, Nov. 19. 1974). Die Geographie fördert Verständnis, Toleranz und Freundschaft unter allen Nationen, Rassen und religiösen Gruppen und unterstützt die Aktivitäten der Vereinten Nationen zur Erhaltung des Friedens durch die Beachtung folgender Ziele:
„a) eine internationale Dimension und globale Perspektive der Erziehung auf allen Stufen und in allen ihren Formen;
b) Verständnis und Achtung aller Völker, ihrer Kulturen, Zivilisationen, Werte und Lebensformen, die ethnischen Kulturen im eigenen Land und in anderen Nationen eingeschlossen;
c) Bewusstsein der zunehmenden globalen Abhängigkeit der Völker und Nationen;
d) Fähigkeit, miteinander zu kommunizieren;
e) Bewusstsein nicht nur der eigenen Rechte, sondern auch der Pflichten Individuen, sozialen Gruppen und Nationen gegenüber;
f) Einsicht in die Notwendigkeit der internationalen Solidarität und Kooperation;
g) Bereitschaft des Individuums, sich bei der Lösung von Problemen der eigenen Gemeinde, des eigenen Landes und der Welt insgesamt zu beteiligen.“

Ökologische und entwicklungspolitische Erziehung
Das Vorbereitungskomitee der UNO-Konferenz über Umwelt und Entwicklung stellte am 18. März 1991 in Genf fest, dass die ökologische und entwicklungspolitische Erziehung für alle Menschen auf allen Stufen Vorbedingung für die Sicherung einer tragfähigen Entwicklung der Erde sei.

„Je größer die Kenntnisse der Menschen bzw. ihre Fähigkeiten, Informationen zu verarbeiten, um so größer sind die Chancen zur Reduzierung von Umweltzerstörungen und zur Vermeidung zukünftiger Probleme. Deshalb hat die Stärkung der Bildungssysteme in allen Ländern, besonders in den Entwicklungsländern, höchste Priorität, da sie Voraussetzung für eine angemessene Befähigung für Umwelt und Entwicklung darstellen.“

Die geographische Erziehung trägt dazu bei, dass sich alle Individuen ihres eigenen Einflusses aber auch desjenigen ihrer Gesellschaft auf die Umwelt bewusst werden, dass alle sachgerechte Informationen erhalten und Fähigkeiten entwickeln, umweltgerechte Entscheidungen zu treffen und die eigenen Handlungen durch umweltethische Prinzipien leiten zu lassen. (Internationale Geographische Union 1992, S. 7-9)

Der „Grundlehrplan Geographie“ des Verbandes Deutscher Schulgeographen hat sich den in der „Charta“ formulierten Zielen ebenso ausdrücklich angeschlossen (Verband Deutscher Schulgeographen, 1999) wie eine Arbeitsgruppe aller in der Deutschen Gesellschaft für Geographie – dem Dachverband der Geographie in Deutschland – zusammengeschlossenen Verbände in der 2003 veröffentlichten Schrift „Grundsätze und Empfehlungen für die Lehrplanarbeit im Schulfach Geographie“:

 

Leitziele des Geographieunterrichts sind – in Einklang mit der Internationalen Charta der Geographischen Erziehung (ICGE) – die Hinführung
– zum Verstehen von räumlichen  Zusammenhängen in der Welt und
– zu raumbezogener Handlungskompetenz.

Im Schulfach Geographie erfahren Schüler „Räumlichkeit“  neben der Zeitlichkeit als eine der grundsätzlichen Formen des In-der-Welt-Seins.  Räumlichkeit wird über Lebens- und Handlungswelten existenziell erfahren. (Deutsche Gesellschaft für Geographie 2003,  S. 8)

Im Zusammenhang mit der Erarbeitung der geographischen Standards in den USA (vgl. Kapitel 1.1) wurde anhand von 18 Standards  umschrieben, was eine „geographisch gebildete Person“ können, verstehen, wissen oder benutzen sollte (vgl. Haubrich 2000, S. 50).  Man könnte dies auch anders formulieren, beispielsweise:

– Der geographisch gebildete Bürger weiß Bescheid z. B. über die Auswirkungen kommunalpolitischer Maßnahmen und übt entsprechenden Einfluss auf seine Gemeinderäte aus;
– der geographisch gebildete Verbraucher weiß Bescheid z. B. über die ökologische und soziale Belastung der Produkte und richtet sein Kaufverhalten danach aus;
– der geographisch gebildete Politiker weiß Bescheid z. B. über die Mentalität von Menschen in Regionen der Welt aufgrund ihrer eigenen Kultur und verhält sich entsprechend;
– der geographisch gebildete Wirtschaftler weiß Bescheid z. B. über die lokalen Auswirkungen des Abbaus der Rohstoffe für seine Produkte, über die klimabelastenden Auswirkungen des Transportes der Rohstoffe und seiner Produkte und ihrer Herstellung, über die Notwendigkeit des Recyclings seiner Produkte sowie über die sozialen Auswirkungen der Produktion auf die Arbeitnehmer;
– der geographisch gebildete Landwirt weiß Bescheid z. B. über die Notwendigkeit des bodenschützenden Anbaus und der artgerechten Tierhaltung;
– der geographisch gebildete Tourist weiß Bescheid z. B. über die ökologischen und sozialen Belastungen, für die er in seinem Feriengebiet mitverantwortlich ist sowie über die Gebräuche und Sitten der Menschen in seinem Feriengebiet und verhält sich dementsprechend;
– der geographisch gebildete Verkehrsteilnehmer weiß Bescheid z. B. über die Benutzung von Karten verschiedenen Maßstabes und von elektronischen Geographischen Informationssystemen;
–  der geographisch gebildete Lehrer weiß Bescheid z. B. über die systemische Komplexität und Vernetzung der Dinge;
– der geographisch gebildete Wanderer weiß Bescheid z. B. über die Benutzung des Kompasses und von topographischen Karten.

Ziele des Geographieunterrichts
– sind anspruchsvoll, inhaltlich und methodisch vielfältig, unterschiedlich schwierig zu erreichen und in eigenes Verhalten umzusetzen. Ihre Bedeutung für die Allgemeinbildung und das bürgerliche Verhalten wird von der Bildungspolitik in Deutschland immer noch gravierend unterschätzt.

– stellen Lehrer und Schüler vor große Anforderungen: Den Lehrer bei der Auswahl der Inhalte und Methoden und den Schüler dadurch, dass sie ihm anbieten, aktuelle Inhalte der Wirklichkeit in ihrer komplexen Vernetzung zu verstehen, damit aber auch die Wirklichkeit möglicherweise anders beurteilen zu müssen als zuvor.
– fordern vom Schüler und zukünftigen Bürger die Bereitschaft, die Einsichten dadurch umzusetzen, dass das eigene Verhalten entsprechend angepasst, ggf.  völlig verändert wird.

Literatur:
Deutsche Gesellschaft für Geographie e.V. (Hrsg.), 2003: Grundsätze und Empfehlungen für die Lehrplanarbeit im Schulfach Geographie. Bonn.
Gleba, Kerstin, und Rudolf Spindler (Hrsg.), 1999: Freistunde. Schüler erzählen von ihrem Leben nach dem Stundenplan. (Köln.)
Haubrich, Hartwig, (u.a.), 1997: Didaktik der Geographie. Konkret. München.
ders., 2000: Bildung für eine nachhaltige Entwicklung durch Qualitätssicherung in der geographischen Erziehung. In: Schallhorn, E. (Hrsg.): Didaktik und Schule. (…) Bretten, Seiten 41-53.
Internationale Geographische Union (Hrsg.), 1992: Internationale Charta der Geographischen Erziehung. Kommission Geographische Erziehung.
Jank, Werner, und Hilbert Meyer, 2002: Didaktische Modelle. 5., völlig überarbeitete Auflage (Berlin).
Ministerium für Kultus und Sport Baden-Württemberg (Hrsg.), 2001: Bildungsplan Kursstufe. Villingen-Schwenningen.
Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD (Hrsg.), 2002: Bildung auf einen Blick. OECD-Indikatoren 2002. (Paris.)
Ribolits, Erich, 2003: Wer nicht lernt, soll auch nicht essen. (…) In: Frankfurter Rundschau v. 16. April, Seite WB6.
Verband Deutscher Schulgeographen e. V. (Hrsg.) 1999: Grundlehrplan Geographie. Ein Vorschlag. Bretten.

Aus: Schallhorn, Eberhard (Hrsg.): Erdkunde-Didaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2004, S. 24-33.

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