Eröffnung des 28. Deutschen Schulgeographentages Wien 2002

 

Begrüßung und Eröffnung durch

Dr. Eberhard Schallhorn, 1. Vorsitzender VDSG

 

Verehrte Ehrengäste,

sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich erkläre für den Verband Deutscher Schulgeographen den 28. Deutschen Schulgeographentag in Wien 2002 unter dem Motto „Brücken bauen. Europa und die Erweiterung der EU – Aufgaben und Möglichkeiten für den Geographieunterricht“ für eröffnet.

Informieren, reflektieren, orientieren – wir hoffen, dass auch dieser 28. Deutsche Schulgeographentag  diesen Ansprüchen gerecht wird, die auf dem Schulgeographentagsbanner fixiert sind:

  • Sich informieren können über das Lehrmittelangebot der Verlage und über die Lage der Schulgeographie,
  • angeregt werden zum Reflektieren  über Methoden, Inhalte und Bedeutung des Faches sowie
  • sich orientieren können über neue Strömungen, neue Ideen, neue Inhalte.

Ich wünsche Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass Ihnen das alles zu Ihrer Zufriedenheit gelingen möge.

Der Deutsche Schulgeographentag ist einer der beiden großen Kongresse der deutschen Geographie. Er wird  veranstaltet vom Verband Deutscher Schulgeographen und in seinem Auftrag ausgerichtet durch den Ortsausschuss.

Der Deutsche Schulgeographentag ist auf die Schule hin orientiert, wo der Grundstein gelegt wird für den Erfolg und die Anerkennung der Disziplin Geographie insgesamt. Die deutsche Hochschulgeographie und die anderen Teilverbände der deutschen Geographie, die in der Deutschen Gesellschaft für Geographie verbunden sind, auch die anderen Geowissenschaften und die geowissenschaftlichen Fakultäten der deutschen Hochschulen haben inzwischen verstanden: Ohne eine starke und lebendige Schulgeographie schwächelt die deutsche Geographie insgesamt.

Stark ist die Geographie dann, wenn sie in allen Jahrgangsstufen und in allen Schularten mit zwei Wochenstunden vertreten ist.

Genau so, wie eine starke Schulgeographie die anderen Bereiche der Geographie positiv beeinflussen kann, wirken die Hochschul- und die angewandte Geographie wie die Geographiedidaktik an den wissenschaftlichen und pädagogischen Hochschulen sowie den Lehrerausbildungsseminaren durch die Qualität ihrer Arbeit und durch ihre Öffentlichkeitsarbeit entscheidend auf die Schulgeographie zurück.

Die deutschen Geographen ziehen alle an einem Strang. Alle müssen in einer Gesellschaft, in der es gilt, selbstbewusst seinen Platz einzunehmen und zu behaupten, gleichermaßen durch die Qualität ihrer Arbeit wirken, darüber berichten und durch Sachverstand beeindrucken.

Der Zusammenhalt in der deutschen Geographie hat sich aus der Sicht der Schulgeographie nach der Bildung der Deutschen Gesellschaft für Geographie grundlegend verbessert. Ich freue mich darüber, besonders deswegen, weil auch ich manchmal von Zweifeln geplagt war und zeitweise noch bin, ob der hohe finanzielle Part, den der Verband Deutscher Schulgeographen innerhalb der DGfG spielen muss, den ideellen Gewinn aufwiegt.

Ich meine, dass das der Fall ist und der eingeschlagene Weg richtig ist.

Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geographie, Herr Professor Dr. Peter Meusburger, kann an diesem Kongress wegen einer nicht verschiebbaren Reise nach Japan nicht teilnehmen. Er bedauerte das mir gegenüber ausdrücklich, und das Bedauern ist ehrlich: Er hat uns schon bewiesen, dass er, wann immer es ihm möglich ist, sogar in abgelegene Winkel Deutschlands eilt, um die Schulgeographie zu stärken. Herr Meusburger wünscht dem Kongress einen schönen und erfolgreichen Verlauf. Er hat mich gebeten, in meiner Eigenschaft als derzeitiger Schatzmeister der DGfG das Präsidium hier zu vertreten.

Es ist nicht außergewöhnlich, liegt aber durchaus im Rahmen des Besonderen, wenn der Deutsche Schulgeographentag im deutschsprachigen Ausland stattfindet. Wir waren Gast im schweizerischen Basel im Jahre 1982 und sechs Jahre später in Österreichs Perle Salzburg, 1988. Die nunmehr 14 Jahre zurückliegenden Erfahrungen der österreichischen Kolleginnen und Kollegen mit den Gästen aus Deutschland waren wohl nicht dergestalt, dass sie uns säuerlich hinterher gewunken haben wie endlich los gewordenen Verwandten nach etwas zu langem Besuch.

Ganz im Gegenteil, nach dem erfolgreichen Deutschen Schulgeographentag in Salzburg 1988 intensivierten sich die Kontakte zwischen den Schulgeographinnen und Schulgeographen aus beiden Ländern, nicht zuletzt dank unseres unermüdlich scheinenden österreichischen Kollegen Herrn Magister Franz Forster. Er hat den Kongressort Wien 2002 angeregt. Zusammen mit Herrn Professor Dr. Wohlschlägl hat er dann mit dem Team im Ortsausschuss in enger Absprache mit dem geschäftsführenden Vorstand und dem Gesamtvorstand des VDSG den 28. Deutschen Schulgeographentag in Wien so weit gebracht, dass wir ihn heute in diesem festlichen und ruhmreichen Ambiente eröffnen können.

Lieber Herr Forster, lieber Herr Wohlschlägl, immer noch hat die Arbeit kein Ende, aber Licht wird am Ende des Tunnels sichtbar.

Im Namen des Verbandes Deutscher Schulgeographen und auch ganz persönlich danke ich Ihnen und Ihrem Team für die vielen Stunden, die Sie bisher schon für das Gelingen dieses Kongresses aufgewendet haben. Ich wünschte mir, dass sich bei Ihnen die eine Waagschale mit der Freude darüber, dass mehr als 1000 Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland, Österreich und dem jeweils angrenzenden Ausland den Weg nach Wien gefunden haben, tiefer neigt, weil sie schwerer wiegt, als die andere mit dem ausgestandenen, aber sicherlich bei der Vorbereitung zu solch einem Kongress unvermeidlichen Kummer, den Sorgen, dem Ärger, Frust und Stress, weswegen Sie heute morgen beim Blick in den Spiegel vielleicht einige graue Haare mehr hier und kleine Gesichtsfurchen zusätzlich dort feststellen mussten.

Ohne Bereitschaft, sich für unsere Schülerinnen und Schüler, unsere Schule sowie für das Fach einzusetzen und ohne das dementsprechend konsequente Handeln ist der Lehrerberuf nicht wirklich denkbar. Für diese Bereitschaft und dieses Handeln haben Sie in vorbildlicher, verantwortlicher Weise ein Beispiel gegeben. Dafür danke ich Ihnen allen im Ortsausschuss und Ihnen, lieber Herr Forster, lieber Herr Wohlschlägl.

In den Dank schließ ich ausdrücklich die Familien ein, die teilhatten am Fortgang der Vorbereitungen und Verzicht üben mussten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle herzlich als Teilnehmerinnen und Teilnehmer des 28. Deutschen Schulgeographentages in Wien. Sie sind die gewichtigste Gruppe, die Anteil am Zustandekommen eines solchen Kongresses hat: Was wäre ein Schulgeographentag ohne Teilnehmer? Nichts.

Ich freue mich, dass Sie selbst es sich ermöglicht haben oder dass es Ihnen ermöglicht wurde, diese bedeutendste Fortbildungsveranstaltung der deutschen Schulgeographie zu besuchen. Ich betone immer wieder, weil ich überzeugt davon bin: Wer als Schulbehörde Sie hierher beurlaubt hat, bekommt eine informierte und neu motivierte Lehrkraft zurück.

Die Beurlaubung zum Deutschen Schulgeographentag lohnt sich für Sie, die Teilnehmenden, und wirkt zurück auf Ihre Schule und Ihre Schülerinnen und Schüler. Zu kurz denkt der, der fortbildungswilligen Kolleginnen und Kollegen die Teilnahme hier versagt.

Dieser Deutsche Schulgeographentag wird in enger Kooperation mit der Universität Wien und ihrem Institut für Geographie und Regionalforschung veranstaltet. Ich freue mich über diese Kooperation und bedanke mich für alle Hilfe und Unterstützung auch von dieser Seite herzlich.

Mein Willkommensgruß und unser Dank geht von hier aus auch an alle anderen Helfer, die die Veranstaltung ermöglichen, und vor allem an die eher im Hintergrund bleibenden Sponsoren und an die  Verlage, die – so scheint es – erneut keine Mühen gescheut haben, Sie, die Teilnehmenden, umfassend über das Lehr- und Lernmittelangebot zu informieren. Herzlichen Dank dafür.

Sehr geehrte Damen und Herren Vertreter ihrer Schulbuchverlage, Ihre Lehrbücher, Atlanten und Unterrichtsmaterialien geben beredtes Zeugnis ab für die Attraktivität und Aktualität unseres Faches.

Aber es hilft nichts, TIMSS und PISA und ein neuer Kultusminister hier oder ein Klippert dort sägen an den bisherigen Lehrplänen, führen zu Neuem, das Ihre Autorenteams unverdrossen in neue Texte und Ihre Redakteure in neue Schulbücher umsetzen. Hier wird Hand in Hand gearbeitet, herzlichen Dank an Sie, die Verlage, für Ihr Engagement im Fach Geographie.

Manchmal  – so wäre kritisch zu vermerken – wird dabei von politischer Seite agiert, ohne auf das Ende zu achten, ohne an die finanzielle Potenz der Abnehmer Ihrer Produkte zu denken, also die der Gemeinden, der Schulen, der Eltern. Wenn die Lehrpläne aller Fächer innen und außen, inhaltlich und methodisch neu gefasst werden und per Computerunterschrift zu einem einzigen Termin in Kraft gesetzt werden – wer kann denn dann alle neuen Bücher auf einmal anschaffen? Und wie steht es mit den erforderlichen  Lehrbüchern für Fächer, die im Bewusstsein der Schulöffentlichkeit nicht als Hauptfächer gelten? Zu diesen Fächern gehört in Deutschland bekanntermaßen noch immer die Geographie. Und wir müssen uns dann erst einmal hinten anstellen, obwohl der Bedarf an aktuellen Unterrichtsmaterialien bei uns besonders groß  ist.

Unglaublich aber wahr: In diesen Tagen las ich über eine Schule, in deren Geographiebüchern immer noch die DDR und die Berliner Mauer, Jugoslawien und die Sowjetunion herumspuken, weil zum Ersatz wieder kein Geld da gewesen ist, denn die Bücher für die neu eingeführte Kursstufe hatten Vorrang. Das sind dann die Meldungen, die über die Geographie in den Zeitungen erscheinen. Bitte sorgen Sie alle dafür, dass über Ihre Schule in dieser Weise nicht berichtet wird.

Einzuflechten wäre beim Stichwort „PISA“ der neidvolle Glückwunsch für den guten Platz Österreichs im Ländervergleich weit vor Deutschland. Vielleicht hätten unsere Schüler ja Sie, liebe Österreicher, im geographischen Denken weit abgeschlagen – das wurde indes einer Evaluation nicht unterzogen.

Die Geographie in der Schule in Österreich und Deutschland unterscheidet sich voneinander. Während Sie in Österreich insbesondere auf den Zusammenhang mit der Wirtschaftslehre setzen und damit in der Kultuspolitik Erfolg haben, setzen die deutschen Schulgeographen nach wie vor auf den Zusammenhalt zwischen Physischer Geographie und Anthropogeographie. Darin eingeschlossen sind volkswirtschaftliche Inhalte. Ihr Weg, liebe österreichischen Kollegen, sieht erfolgreicher aus.

Manche sprechen davon – und da findet sich, in anderer Weise als gemeint, das Motto dieses Schulgeographentages wieder -, die Geographie sei nicht allein in der Schule Brückenfach zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften sowie Integrationsfach für die anderen Geo-, Natur- und Gesellschaftswissenschaften. Es bleibt zu bedenken, dass das Angebot, Brücke zu sein und Integration zu bieten, auch eine Nachfrage voraussetzt. Hier sind sich leider die deutschen Geowissenschaften nicht ganz darin einig, das Angebot anzunehmen, und die anderen Fächer bemerken mit immer größerem eigenen Erstaunen, dass ihre Inhalte mit dem Bezug auf den Menschen und auf den Raum selbst erheblich an Aktualität und Anschauung gewinnen.

So werden beispielsweise klimatologische Inhalte zunehmend in der Physik behandelt, bodenkundliche und vegetationsgeographische in der Biologie, hydrologische in der Chemie. Das Fach Religion hat schon seit längerer Zeit das Thema „Entwicklungsländer“ als das Seine adaptiert. Die Geschichte bezieht unter dem Schlagwort „Big History“  zunehmend wirtschaftshistorische Inhalte und den Raum ein – den manche Geographen wiederum abschaffen wollen – , die Gemeinschaftskunde behandelt Industriestandorte. In den Fremdsprachen wird die in der Geographie oft verpönte Landeskunde der Länder behandelt, in denen die jeweilige Sprache gesprochen wird. Im Sport läuft man beim Orientierungslauf nach der Karte und mit dem Kompass, möglicherweise schon mit dem GPS-Gerät durch den Wald, im Fach Kunst werden Karten gezeichnet, die Musik erläutert Land und Leute der Länder, aus denen die Lieder stammen, die gerade gesungen werden. Der Geographie immanenter fachübergreifender Unterricht und fächerverbindendes Lernen sind ohnehin geforderte Prinzipien heutigen Unterrichts, und dabei war Unterricht ohne Blick über den Tellerrand des eigenen Faches eigentlich nie guter Unterricht. Die Trennung zwischen den angestammten Inhalten der einzelnen Fächer wird heute zunehmend faktisch aufgehoben, und dem Integrationsfach Geographie drohen wesentliche Inhalte abhanden zu kommen.

Nun könnte man das unter dem Stichwort „postmoderne Beliebigkeit“ oder „kultusbürokratische Zielorientierung ohne allzu große praktische Bedeutung für den Schulalltag“ einordnen und abhaken, denn weiterhin erfolgt der Fach- und Lehrerwechsel meistens mit dem Klingelzeichen. Wäre da nicht das Stichwort vom fachfremden Unterricht und die Redensart vom Schuster, der bei seinem Leisten bleiben soll. Insofern bleibt unsere Forderung in Übereinstimmung mit der Internationalen Charta der geographischen Erziehung der International Geographical Union bestehen, nach der der zweistündige Geographieunterricht in allen Jahrgangsstufen und allen Schularten auf dem Wege des Jugendlichen in das unabdingbar ist, was einmal Mündigkeit hieß, heute vielleicht eher Verantwortlichkeit und Selbstbestimmtheit des Erwachsenen heißen mag.

Gefragt werden müsste allerdings einmal nach der objektiven Berechtigung für drei Unterrichtsstunden oder mehr  für ein Fach hier und nur eine oder keine für ein anderes Fach dort, gefragt werden müsste auch einmal nach der objektiven Berechtigung für die Einteilung der Fächer in Hauptfächer und Nebenfächer.

Vielleicht kann unser aller Ziel, die geographische Bildung zu verbessern, tatsächlich nicht mehr nur am Schulfach festgezurrt werden.

Es gibt eine Vielzahl von Bereichen in der Schule und in der Öffentlichkeit in unserem Umfeld, die durch die Mitwirkung der Geographie zur geographischen Bildung beitragen können, z. B.:

  • Der Kollegenausflug könnte zeitweise zu einer geographischen Exkursion umgestaltet werden, in deren Verlauf den Kolleginnen und Kollegen nahe gebracht werden könnte, dass eine Empfehlung, die den Schülern gegenüber als eine „nachhaltige“ bezeichnet wird, nicht unbedingt das ist, was man heute – zu Zeiten der Konferenz in Johannesburg – unter nachhaltig versteht.
  • Das Schuljahr könnte unter das Motto eines Kontinents gestellt werden, und alle Fächer tragen das Ihre dazu bei, dass der Kontinent und seine mehr oder minder engen Beziehungen zur Schule oder zum Schulort dargestellt werden.
  • Die Eltern könnten zu einer geographischen Stadtexkursion eingeladen werden: Die Mainzer Geographen geben mit ihrer „Geographie für alle“ ein nachahmenswertes Beispiel, das über die Schule hinausgreift.
  • Aktuelle Ereignisse könnten durch das Fach Geographie aufgearbeitet werden. Viele Zeitungen bieten den Schulen Mitarbeit in der Sparte „Zeitung in der Schule“ an – und die von den Schülern erstellten Berichte können sich lohnend mit geographischen Inhalten beschäftigen.
  • Könnte eine Fachabteilung Geographie nicht einen internen Geographiewettbewerb ausrichten, der das Interesse der Schüler auf geographische Fragen richtet? Warum denn muss ein geographischer Wettbewerb eigentlich immer von außen, möglicherweise in Begleitung von  durchaus fachfremdem, kommerziellem Interesse in die Schulen kommen? Preise können sicherlich vom Elternverein, der Schule selbst oder der örtlichen Wirtschaft gesponsort werden.
  • Ich erinnere hier auch daran, dass die Preisträger im Bereich „Geo- und Raumwissenschaften“ des Bundeswettbewerbs „Jugend forscht“ schöne, aber durchaus nicht extravagante geographische Arbeiten abgeliefert haben – ´mal eine Kartierung der Innenstadt unter der Fragestellung, wie die Attraktivität erhöht werden könnte, ´mal die Analyse eines Einkaufszentrums. Und auch der Bundesumweltwettbewerb ist unter Geographielehrern noch weitaus zu wenig bekannt. Beide Wettbewerbe unterstützt der Verband Deutscher Schulgeographen mit Sonderpreisen, schade, dass die aktuellen Preisträger die Einladung hierher nach Wien wegen der erforderlichen Wahrnehmung anderer Termine nicht annehmen konnten.

„Brücken bauen – Europa und die Erweiterung der EU“: Hier bieten sich tatsächlich Aufgaben und Möglichkeiten für den Geographieunterricht. Wir wissen alle, dass wegen des geringen Geographieunterrichts Südost – und Ostmitteleuropa im Unterricht weitaus zu kurz kommen. Dabei existiert gerade den Ländern gegenüber, die der EU in nächster Zeit beitreten wollen und sollen, ein erschreckend hohes Maß an geographischer Unwissenheit gepaart mit immer dümmer werdenden Vorurteilen. Wir Geographielehrerinnen und Geographielehrer sollten Partei ergreifen für diese Staaten und Unwissenheit sowie Vorurteile zu beiseitigen helfen: Klassenfahrten, Schüleraustausche, Exkursionen müssen nicht immer nur nach Westen und Süden gehen, müssen auch nicht immer nur sprachlichem oder musischem, sondern können auch gesellschaftswissenschaftlichem und geographischem Interesse dienen.

Der Widerstand der Schüler, eine Fahrt nach Osten zu unternehmen, erscheint zunächst unüberwindbar – und je weiter westlich wir selbst unseren Schulort haben, desto stärker sind die aus Vorurteilen abgeleiteten Einwände. Wir können mit unserem Fachwissen und unseren pädagogischen Möglichkeiten und Fähigkeiten hier im Sinne der europäischen Integration wirkungsvoll eingreifen.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass aus guten Gründen auch die Bildung eines gesellschaftswissenschaftlichen Profils für das Gymnasium auf dem Tisch liegt, in dem dann auch die Geowissenschaften als Schwerpunkt angemessen vertreten sind. Unglaublich ist, dass die Kultuspolitik in Baden-Württemberg beispielsweise ein solches Gymnasium wegen vermeintlich zu geringen Anforderungen als mögliches Sammelbecken für die besonders schwachen Schülerinnen und Schüler ansieht und es deswegen ablehnt.

Schule ist der Ort, an dem Kinder und Jugendliche lernen, unterrichtet zu werden. Der Göttinger Pädagoge Hermann Giesecke, der 1999 in Hamburg unser Gast war, sagte uns und ich möchte Ihnen dies auch für den Geographieunterricht zu bedenken geben: „Ohne Unterricht kann es unter unseren gesellschaftlichen Bedingungen keine erfolgreiche und befriedigende Teilhabe an den gesellschaftlichen Möglichkeiten geben. (…) Die Fähigkeit, sich unterrichten zu lassen, muss (…) heute von möglichst allen gelernt werden (…), und diese Fähigkeit ist durch nichts anderes zu ersetzen. (…)  Das Nachdenken über Schule muss (…) primär bei der Lehrbarkeit der Sachen beginnen und nicht bei der Lernbereitschaft der Lernenden, bei deren Motiven und Interessen z.B.; die können sich ändern wie das Wetter. (…).“

Die Schleusen für sogenannte oder tatsächliche Innovationen für Schule und Unterricht sind zur Zeit weit geöffnet. Weizen ist dabei, aber auch Spreu. Es fehlt allerdings der Nachweis, dass das Andere, das oft aufwendige Neue oder das Alte in neuen Schläuchen zu besserem Erfolg des Unterrichts führen, der sich in Wissen und Handeln der Schülerinnen und Schüler manifestiert. Es gilt, mit unserem – mit Ihrem – Fachverstand, mit mutigem Vertrauen in unsere Fähigkeiten und unsere Erfahrung Scharlatanerie, Schickimicki und tatsächlich Hilfreiches und Förderliches zu unterscheiden und entsprechend zu verlesen.

Im Jahre 1999 beging der Verband Deutscher Schulgeographen mit Gästen von der Hochschulgeographie, der Fachdidaktik und der Pädagogik den 50. Jahrestag der Neugründung des Verbandes nach dem Zweiten Weltkrieg, damals 1949 in Jugenheim an der Bergstraße. Vor drei Jahren kam ich vor der festlich versammelten Geographengemeinschaft auf den Gedanken, man könne sich ja zum Geburtstag auch etwas wünschen: Ich wünschte mir unter anderem von der Fachdidaktik, nach dem Beispiel der National Geography Standards  in den USA Bildungsstandards für die deutsche Geographie zu erarbeiten. Eine von den Zielen des Geographieunterrichts überzeugte Fachdidaktik könnte das leisten, Geographielehrerinnen und Geographielehrer mit vollem Deputat nebenher am Nachmittag wohl kaum. Von Seiten unserer Fachdidaktik ist mein Geburtstagswunsch nicht erhört worden. Heute, drei Jahre später, werden in den Kultusministerien die Arbeiten zur Formulierung von Bildungsstandards angetrieben. Kolleginnen und Kollegen, die daran beteiligt sind, können davon ihr Liedchen singen.

Die wirklichen Neuerungen, die auf uns Lehrerinnen und Lehrer zukommen, sind von vielem vordergründigen Aktionismus noch ziemlich verdeckt: Die Neurologen konfrontieren uns mit spannenden Erkenntnissen über die Abläufe des Lernens, die Unterricht, auch den in Geographie, möglicherweise tatsächlich verändern werden. Die Geographiedidaktik muss uns durch die Adaption der evolutionären Pädagogik baldmöglichst auf die richtigen Geleise stellen.

In der Wochenzeitung  DIE ZEIT fand ich den erstaunlichen Hinweis, Geographie treibe viele Schüler überall auf der Welt zum Schwänzen. Wenn das so gewesen oder immer noch sein mag, dann ist es unsere Schuld, denn Geographie kann heute und gerade im „Jahr der Geowissenschaften“ und zu Zeiten der „Globalisierung“ eigentlich nur spannend sein. Aber Geographieunterricht hat viel mit Aktualität und politischem Geschehen zu tun. Und die neueste Shell-Studie bescheinigt den Jugendlichen von heute nur wenig Interesse am aktuellen Zeitgeschehen, obwohl sie sich engagiert in von ihnen selbst ausgesuchten Bereichen für die Gemeinschaft einsetzen, also durchaus politisch handeln. Manchmal aber kommt es mir vor, dass die Schülerinnen und Schüler dem Geschehen der Steinzeit mehr Bedeutung für heute zumessen als dem, was um sie herum jetzt geschieht. Indem wir das Interesse für das Jetzt wieder verstärkt wecken, können wir ansetzen, geographische Bildung zu verbessern.

Zum Glück gibt es inzwischen vereinzelt, aber immerhin  sogar auch von außerhalb des Verbandes öffentlich Warnungen davor, das Fach Geographie und geographische Bildung zu vernachlässigen. In der letzten Ausgabe des Jahres 2001 der renommierten Zeitschrift „Wirtschaftswoche“ schrieb Christian Deysson einen Artikel über die „Renaissance der Geographie im Zeichen der Globalisierung von Wirtschaft, Kultur und Terror“. Mit seinen mahnenden Worten möchte ich schließen, nicht ohne Ihnen allen vorher noch einmal eine erfolgreiche Tagung, einen schönen Aufenthalt in der gastgebenden Stadt Wien und zahlreiche anregende und informative Gespräche unter Kolleginnen und Kollegen gewünscht zu haben. Deysson schrieb am Schluss seines Beitrages: „Das Ende der Geographie? Nichts könnte falscher sein! Die Akzente mögen sich verschoben haben, aber Geographieverständnis ist heute wichtiger und geographischer Analphabetismus gefährlicher als je zuvor. (…) Eine Gesellschaft, die keine Ahnung vom Raum hat, in dem sie sich bewegt, tappt im globalen Dorf fast noch dümmer herum als eine, die nicht richtig schreiben und lesen kann.“

 

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