Geographieunterricht in der pluralistischen Schule

 

© Eberhard Schallhorn

Auch wenn unsere Schüler alt werden, erinnert sich niemand seiner Lehrer, wie denn das Gedächtnis der Wohltaten ohnehin nicht lange zu dauern pflegt; manche lohnen mit Undank, wie Nero. Auch die Eltern der Schüler schätzen uns nicht höher als diese selbst. Sie denken nicht daran, dass sie die Sorge für ihre Kinder auf  uns abgeladen haben. Ist uns doch Unterricht und Erziehung des Knaben in ihrer ganzen Breite, mit allen ihren Kümmernissen und Gefahren, auf die Schulter gelegt, während sie zuhause ungestört ihren Geschäften nachgehen. (…) Vergleicht man alle Berufe des Lebens mit unserem, so wird die Summe der Übel nirgends so groß sein, ja ich wage die Behauptung: wir sind von allen Sterblichen am übelsten daran, denn wir haben die härteste Arbeit, leben in kümmerlichen Verhältnissen und müssen uns noch mit Verachtung behandeln lassen, nicht nur von unseren Schülern, auch von ihren Eltern, schließlich von denen, um die wir uns besondere Verdienste erworben haben.

Dieser Auszug aus der „Rede von den Leiden der Lehrer“ (De miseriis paedagogorum oratio) von Philipp Melanchthon (1497-1564), des „Praeceptor Germaniae“ und Gefährten Luthers, aus dem Jahre 1533 (zit. nach: Schwab 1997, S. 161 f.) scheint nicht ganz aus einer anderen Welt: Die Leiden sind heute andere, aber Leiden geblieben. Es klingt nur etwas anders:

(…) Du hast Aufsicht!

(…) Das hab ich vollkommen vergessen! Schnell (…) drehe (ich) um und renne die 500 Meter bis zum Altbau, Flur A1, Unterstufentrakt. Die schwere Büchertasche habe ich zu allem Überfluss auch noch dabei. Auf A1 hat sich der Inhalt der vier Fünferklassen schon auf den Flur ergossen. Ein unüberschaubares Gedränge, Gerenne, Geschubse und Geschrei. (…) Sofort sehe ich die Katastrophe. Ein Schüler liegt verletzt am Boden. Windet sich vor Schmerz. Ein anderer kniet vor ihm. Oder auf ihm. Ein kleiner Halbkreis hat sich um die beiden gebildet. Ich lasse meine Tasche fallen, stürze hin, schiebe die Herumstehenden beiseite. Was ist passiert? Er antwortet nicht. Das Gesicht schmerzverzerrt. Bis du verletzt? Keine Antwort. Ich knie mich auf den Boden und versuche ihn vorsichtig ein wenig auf die Seite zu rollen, da springt er mit einem lauten Kampfschrei hoch und verschwindet in der Menge. Die Umstehenden grinsen und drehen ab. (…) Ich suche auf dem Flur nach meiner Tasche. Jemand hat ihr einen Tritt verpasst; sie liegt irgendwo in einer Ecke, ein Buch und ein paar lose Blätter sind herausgerutscht. Rasch sammle ich alles vom Boden auf und stopfe es wieder hinein. Dann gehe ich in den Unterricht. Philosophie in der 12. Klasse, Kants Ethik. (Bayerwaltes 2002, S. 19-21.)

Dass sich „Schule“ von dem griechischen Wort für „Muße“ ableitet, ist heute weitgehend vergessen. Einst war sie der Ort, an dem Angehörige der Polis von der Erledigung anderer Tagesgeschäfte freigestellt waren, um sich geistiger Bildung hinzugeben. Die räumliche Trennung vom Tagesgeschehen war Symbol für die anzustrebende innere Distanz zu ihm, die dazu dienen sollte, das Leben aus angemessener geistiger Entfernung wahrnehmen und es reflektieren zu können.

Heute ist Schule der Raum, in dem es (meistens) der Staat dem jungen Menschen zunächst ermöglicht, der gesetzlichen Schulpflicht nachzukommen. Um im späteren Leben als Erwachsener erfolgreicher sein zu können, erscheint es notwendig zu sein, möglichst lange, auch über die Schulpflicht hinaus, in dieser Institution zu verbringen. Je länger die Schule besucht wird, desto höher ist die Qualifikation, die dem Schüler bescheinigt wird. Die höchste erreichbare schulische Qualifikation ist in Deutschland das Abitur mit der damit verbundenen allgemeinen Hochschulreife, die zum Studium an der wissenschaftlichen Hochschule berechtigt. Dem Schüler mit Abitur steht „die Welt“ offen. Ohne Abitur ist die freie Berufswahl deutlich eingeschränkt.

Die Konsequenz aus dieser schlichten Feststellung ist, dass nicht nur eine bestimmte Gruppe junger Menschen die Schulen besuchen, die letztlich zum Abitur führen, nämlich die Fähigsten von ihnen, sondern möglichst viele eines Jahrgangs. Das wird vom Staat gestützt, denn aufgrund einer im Ausland anderen Bildungsorganisation und anderen demographischen oder infrastrukturellen Gegebenheiten ist die Abiturientenquote dort manchmal höher als in Deutschland. Weil aber die Abiturientenquote gleichgesetzt wird mit Prädikaten für ein ganzes Volk wie „erfolgreich“, „klug“, „intelligent“ (vgl. Georg Picht, nach Adam 2002, S. 61), soll die deutsche Abiturientenquote in etwa gleich hoch sein wie die in anderen Ländern.

Nach Angaben der OECD besuchten im Jahre 2000 in Deutschland 36,8% der Bildungsteilnehmer im Sekundarbereich II den allgemeinbildenden Bildungsgang (entspricht dem allgemeinbildenden Gymnasium in Deutschland). Von allen 31 OECD-Staaten waren die Anteile in 15 Staaten höher (max. Kanada mit 90,9%) und nur in 12 Staaten geringer als in Deutschland (min. Tschechien 18,6%). Für zwei OECD-Staaten lagen keine Angabe vor. Der OECD-Durchschnitt betrug 48,3%. (Organisation für wirtschftliche Zusammenarbeit 2002, S. 262.)

Daraus folgt, dass in der heutigen Schule die Schülerschaft „pluralistisch“ ist wie die Gesellschaft. Das bedeutet einerseits, dass die Herkunft, Individualität und Ziele der Schüler vielfältig wie nie zuvor sind, dass oft gar nicht die Schüler die Schule besuchen wollen, sondern ihre Eltern im Glauben, ihrem Kind das Beste zu bieten, ihren Willen durchsetzen.

Andererseits ist die Schule selbst nur einer von zahlreichen Sozialisationsfaktoren und sicherlich der maßgebliche, der die jungen Menschen heute beeinflusst – steht also neben der eigene Clique, dem Fernsehen, dem Vereine, neben Idolen oder Idealen etc. (vgl. Giesecke 1996, S. 119). Der Lehrer und die Schule insgesamt müssen sich auf diesen Pluralismus einstellen. Eigentlich ist jeder Schüler anders, und was für die Schüler erkannt ist, gilt inzwischen auch für die Lehrer: Jeder ist eine eigene Persönlichkeit mit ihren Schwächen und Stärken, jeder hat eine andere Berufsauffassung, einen anderen erzieherischen Impuls.

Deutlich bleiben muss nur, dass die Schule, was immer in ihr geschieht, ein besonderer sozialer Ort für die Schüler ist, sonst brauchen wir sie nicht. (Giesecke 1996, S. 231.)

Ein Schulfach wie Geographie wird daher je nach Schülerschaft und Lehrer unterschiedlich unterrichtet und wahrgenommen werden müssen. Es muss als Schulfach angemessen vertreten sein, darf sich aber doch nicht in seine Fachlichkeit einigeln, sondern muss auch dazu bereit sein, seine Inhalte in der Schulöffentlichkeit darzulegen. Das gilt sicherlich nicht erst seit den Bemühungen um verstärkte Außenwirkung der Schule im Rahmen der „Inneren Schulreform“, sondern ist eine eigentlich selbstverständliche Maxime für lebendige Schule.

Geographische Inhalte in allen Fächern

So lange geographische Inhalte von anderen Fachbereichen, von der Öffentlichkeit und von der Bildungspolitik zwar bedeutsam für die Allgemeinbildung angesehen wurden, aber doch nur als „weniger wichtig“ in dem Nebenfach Geographie angemessen gut aufgehoben zu sein schienen, war auch das Abbröckeln der Anteile des Faches in den Stundentafeln der Schule nicht weiter beachtenswert. Als mit dem sich verstärkenden Umweltbewusstsein seit den 1970er Jahren ökologische Inhalte immer stärker in der Schule unterrichtet wurden – zunächst, ohne Anbindung an die Vorschriften des Lehrplanes, nur von engagierten Lehrern –  sahen plötzlich alle Fächer die Notwendigkeit, sich dieser neuen Unterrichtsinhalte anzunehmen. Nicht nur die naturwissenschaftlichen Fächer Chemie, Physik und Biologie behandelten ökologische Inhalte, die, sobald sie sich auf den „Raum“ bezogen eigentlich geographische sind, sondern auch die philologischen Fächer bezogen über die Textarbeit Inhalte dieser Art in die Unterrichtsarbeit ein. Eigentlich geographische Themen fanden sich also in vielen Fächern wieder, beispielsweise Hydrologie in der Chemie, Bodengeographie in der Biologie, Klimageographie in der Physik; die Regionalgeographie Großbritanniens, der USA oder Frankreichs wird im Englisch- bzw. Französischunterricht anhand fremdsprachlicher Texte behandelt. Der Deutsch-, Religions- oder Ethikunterricht beschäftigt sich mit literarischen Darstellungen oder den ethischen Fragen der Umweltbelastung oder der Massentierhaltung, im Rahmen der Landschaftsbeschreibung mit der Schönheit von Landschaften oder anhand fiktionaler Texte mit der existenziellen Bedrohung des Menschen durch die Industrialisierung, z. B. in Jeremias Gotthelfs „Die schwarze Spinne“ oder des Städtewachstums in der Lyrik des Expressionismus.

Hinzu kam, dass in den 1980er Jahren eine neue Hinwendung zu einer allerdings eher historisch geprägten Landeskunde erfolgte. In Baden-Württemberg beispielsweise wurden allerorts lokale landeskundliche  Arbeitsgemeinschaften gegründet, die sich fortan mit der Geographie des Heimatraumes beschäftigten und auch Materialien für den Unterricht – nicht nur den Geographieunterricht – erarbeiten sollten. In diesem Bundesland wurde sogar für die Klassen 5 und 6 ein neues Unterrichtsfach „Naturphänomene“ eingerichtet, in dem im Wesentlichen die naturkundlichen „Experimente“ durchgeführt wurden, die bis dahin eigentlich ihren Platz im Geographieunterricht hätten haben sollen. Denn inzwischen war durch die Lehrerausbildungsverordnung der Fachlehrer Geographie oftmals so weit von der naturwissenschaftlichen Seite seines Faches abgelenkt worden, dass er sich die Unterrichtung der naturwissenschaftlich-geowissenschaftlichen Inhalte im Unterricht oft nicht mehr zutraute. Allerdings erschien es  vielen Fachlehrern aufgrund eigener Präferenzen – verstärkt durch die erlaubte Fächerkombination – wohl auch einfacher, ihren Geographieunterricht auf die kulturgeographischen Anteile möglichst nahe am eingeführten Lehrbuch zu beschränken.

Damit zerfaserten die geographischen Inhalte im Fächerkanon der Schule. Von Seiten der Bildungspolitik wurde dem Rechnung getragen, indem man „fachübergreifende“ Inhalte definierte und „fächerverbindenden“ Unterricht im Lehrplan vorsah. Dass der im täglichen Schulalltag aufgrund des festen Organisationsschemas der Schulvormittags dann oftauf der Strecke blieb, steht auf einem anderen Blatt.

Der Geographielehrer sah und sieht diese Entwicklung mit einem lachenden und weinenden Auge zugleich. Einerseits sieht er geographische Inhalte als überragend wichtig anerkannt, ohne dass aber „sein“ Fach daraus direkten Nutzen zöge, d.h. gestärkt würde. Andererseits sieht er viele von den geographischen Inhalten, denen er hohe Bildungsbedeutung zumisst, zwar nicht in seinem Fach, so doch im Unterricht für seine Schüler vertreten. Der Wermutstropfen ist die Einsicht, dass damit oft schwierige geographische Inhalte auch fachfremd unterrichtet werden.  Als Ausweg aus diesem Dilemma bietet es sich dem Fachlehrer an, seine geographische Kompetenz dem jeweiligen Kollegen zur Verfügung zu stellen und kooperativ zu unterrichten. Inwieweit das bei zunehmender Belastung des Lehrers durch die Unterrichts- und Erziehungsarbeit ohne spürbare Entlastung an anderer Stelle möglich ist, muss von Fall zu Fall individuell entschieden werden.

Klassenfahrten

Im Zusammenhang mit der angesprochenen Entwicklung, dass geographische Inhalte aus dem Fach in einen „fächerverbindenden“ Bereich verschoben werden, ist in Betracht zu ziehen, bei möglichst vielen Gelegenheiten im Schulalltag auch geographische Inhalte anzusprechen und fachgerecht zu behandeln.

So lassen sich beispielsweise in das Programm von Landschulheimaufenthalten in der Regel ohne großen Aufwand geographische Inhalte einbauen, bei denen die Schüler erfahrungsgemäß auch hohes Interesse zeigen. Schon bei der Anfahrt sollte der Geographielehrer den Schülern Informationen zu den durchfahrenen Landschaften geben.

Es bieten sich beim Aufenthalt mit der Klasse einfache praktische Untersuchungen aus allen Teilgebieten der Geographie an. Gesteine der Umgebung können gesammelt und bestimmt werden. Daraus können Schlüsse über die Landschaftsgeschichte gezogen werden. Wetterbeobachtungen mit der Aufgabe, das Wetter für den nächsten Tag vorherzusagen, können in Form eines Wettbewerbes durchgeführt werden: Wer hat das Wetter genauer vorhergesagt, unsere Gruppe oder der Wetterbericht? Bodenuntersuchungen können mit einfachen Indikatoren auch „auf Reisen“ durchgeführt werden, viel versprechende oder fragliche Proben werden in die Schule mitgenommen und im Chemielabor zusammen mit dem Chemielehrer untersucht. Befragungen der Einheimischen des Nahraumes geben oftmals geradezu packende Hinweise auf eine bewegte Geschichte der Genese der Kulturlandschaft. Das Interview mit dem Bürgermeister der Gemeinde kann dazu führen, die Gemeinde nicht nur als Aufenthaltsort wahrzunehmen, sondern auch ihre Struktur und Funktion oder ihre aktuellen Schwierigkeiten zu erkennen. Eine Dokumentationsgruppe kann die einzelnen Tätigkeiten in Wort und/oder Bild festhalten, ein Bericht über den Landschulheimaufenthalt schließlich alle Ergebnisse im Zusammenhang darstellen und eine wertvolle Erinnerung nicht nur an diese Klassenfahrt, sondern an die Schulzeit insgesamt werden. Am Schluss des Landschulheimaufenthaltes kann eine kleine Veranstaltung organisiert werden, bei der der Spaß nicht zu kurz kommen sollte, aber zugleich die Ergebnisse der Gruppenarbeiten präsentiert werden könnten.

Studienfahrten können durch geographische Aufarbeitung vor- und nachbereitet werden. Schüler können die Stadtführung übernehmen, die auch themabezogen sein kann. Wenn man sich rechtzeitig an die jeweilige Stadtinformation wendet, erhält man Informationen, die sich meistens auch geographisch auswerten lassen. Bei Auslandsaufenthalten kann man sich an die Botschaft des jeweiligen Landes wenden.

Auch internationale Schüleraustauschmaßnahmen lassen sich auf diese Weise mit geographischem Inhalt beleben und anreichern. Hier bietet sich darüber hinaus der große Vorteil, dass die Gruppen mit Schülern beider Nationalitäten besetzt werden können und die Schüler bei der gemeinsamen Arbeit und der Präsentation in besonders guten Kontakt untereinander kommen. Im Rahmen eines deutsch-polnischen internationalen Schüleraustausches hat der Autor gerade in dieser Hinsicht besonders positive Erfahrungen gesammelt.

Als die Schulstadt eine Partnerschaft mit einer französischen Gemeinde bei Paris einging, unternahmen die Schüler/innen des Leistungskurses Geographie eine Studienfahrt dorthin. Sie wollten die neue Partnerstadt zu Hause vorstellen. In einem Gespräch stellte der französische Bürgermeister seine Stadt vor. Daraufhin diskutierten die Schüler die Untersuchungsmethode. Man einigte sich auf das Thema „Wohngebiete in unserer Partnerstadt“. Aufgrund der Informationen, die der Bürgermeister gegeben hatte, wurden fünf verschiedene Wohngebiete ausgesucht. Je eine Gruppe  bekam die Aufgabe, insbesondere durch Befragung  – nicht durch Literaturarbeit – herauszufinden, welche Menschen in ihrem Wohngebiet wohnen: Sozialer Stand, Herkunft, Arbeitsstätten etc. .  Die Schüler besuchten einen Tag lang  „ihr“ Wohngebiet und befragten die Bewohner. Einer photographierte. Die Ergebnisse der Arbeit wurden noch während des Aufenthaltes gesichtet; bei Unklarheiten konnte am nächsten Tag „nachgefasst“ werden. Zu Hause wurden die Ergebnisse zu einer Ausstellung aufgearbeitet, die im Rathaus der Bevölkerung zugänglich gemacht wurde. Die lokale Zeitung berichtete.

Exkursionen

Exkursionen sind kürzer als Schülerfahrten und von vornherein themabezogen.  Bei ihnen empfiehlt sich ein ähnliches Verfahren wie bei den Schülerfahrten: Aufteilung in Arbeitsgruppen, Dokumentation und Präsentation. Da das Thema feststeht, sollten sich „Experten“ für ausgewählte Inhalte besonders vorbereiten und ihr Wissen in die Erarbeitung des Themas „vor Ort“ einbringen. Es wird bei der Vorbereitung oft vergessen, die Schüler auf eigentlich Selbstverständliches hinzuweisen: Ein Schreibgerät ist ebenso mitzunehmen wie Notizpapier (am besten ein Heft) auf fester Schreibunterlage. Jeder Standort ist genau festzulegen, die Namen von Informanten und ihre Funktion sind richtig zu notieren. Notfalls darf man keine Hemmungen haben nachzufragen. Alle Informationen müssen zunächst mitgeschrieben werden; die Auswahl kann dann bei der Ausarbeitung in Ruhe getroffen werden. Bei qualitativen, prozentualen oder Index-Angaben sollte die genauen Zahlen erfragt werden. Also beispielsweise nicht: „Hoch“ und „wenig“, sondern die genaue Angabe in Maß und Zahl erfragen und notieren. Oder: Wie viel beträgt die Steigerung von 37 % in absoluten Zahlen? Die Entscheidung, ob beim Exkursionsbericht die absolute oder prozentuale Angabe die aussagekräftigere ist, sollte im Zusammenhang des Berichts entschieden werden.

Wenn Kollegen anderer Fachbereiche Exkursionen anbieten, kann der Fachbereich Geographie ebenfalls seine Unterstützung anbieten. Hier gelten allerdings auch die o.a. Einschränkungen wegen der  Mehrbelastung.

Lehrerausflüge

Was spricht eigentlich dagegen, dass der Fachkollege von der Geographie dem Kollegium während des Lehrerausflugs Erläuterungen gibt zur Genese und Struktur der durchfahrenen Landschaften? Wenn dies rechtzeitig mit dem Programm angekündigt wird, kann sich jeder darauf einstellen. Die Erläuterungen werden das breite Spektrum geographischer Inhalte darstellen können und  selbst bei denen, die den Ausführungen nur wenig abgewinnen können, zumindest einen Eindruck von der Vielfalt und der synthetischen Methode der Geographie hinterlassen.

Wenn die Fachschaft Geographie für das Kollegium die Besichtigung eines Steinbruchs, eines Schaubergwerkes, eines landwirtschaftlichen oder Industriebetriebes organisiert, so trägt das dazu bei, dem Fach Geographie insgesamt an der Schule zu einer starken Stellung zu verhelfen. Es gibt Fachschaften Geographie, die kein Schuljahr verstreichen lassen, ohne wenigstens eine mehrtägige eigene Exkursion zu einer geographischen Institution oder in eine bestimmte Region  unternommen zu haben – nicht nur während der Schulzeit. Wenn das dann unter der Überschrift „Schulinterne Lehrerfortbildung“ im Rahmen der erwünschten „Inneren Schulreform“ erfolgt, wird die Unternehmung auch von der Aufsichtsbehörde gerne akzeptiert.

Ausstellungen

Geographische Ausstellungen lassen sich im Schulgebäude in vielfältiger Weise verwirklichen. Außer der Ausstellung der Arbeitsergebnisse, die  während eines Schülerausfluges oder einer Exkursion erzielt wurden (s.o.), sind beispielsweise auch Ausstellungen mit geographischen Inhalten bei anderen Fächern anzuregen. Bekannt sind die guten Ergebnisse des Arbeitsauftrages im Kunstunterricht „Zeichnet / Malt eine Insel nach eurer Vorstellung!“; das kann in realer Darstellung oder als Kartenbild verwirklicht werden. Auch die Umsetzung einer Landschaftsphotographie in eine topographische Karte oder umgekehrt kann im Kunstunterricht mit großem Erfolg durchgeführt und das Ergebnis in Form einer Ausstellung präsentiert werden. In höheren Klassen wären Porträts von Menschen fremder Länder denkbar – mit dem Ziel, die Einsicht zu gewinnen, dass der vermeintliche „Ausländer“ keiner ist, der wie der nette Nachbar Aussehende aber noch keinen deutschen Pass hat.

Im Deutschunterricht könnten die  Schüler die topographischen Angaben in einem fiktiven Text zu einer Karte umsetzen, wie es bei der Lektüre von Schillers Schauspiel  „Wilhelm Tell“ schon sehr oft geschieht. Der Englischunterricht könnte die Schüler dazu anregen, etwa die Vielfalt der Millionenstadt New York in Postern einzufangen und sie auszustellen. Die Schüler könnten anderen, die die Ausstellung besuchen, ihre Poster auf Englisch erläutern.

Auch für die naturwissenschaftlichen Fächer sind vielfältige geographische Themen für Ausstellungen denkbar:

Biologie z. B. :
Bodengütekartierung
Waldschadenskartierung
Kartierung von Nistplätzen
Chemie z. B. :
Gewässergüteuntersuchung
Bodenchemismus
Luftuntersuchung
Physik z. B. :
Astronomische Größenverhältnisse
Erdmagnetismus
Schallmessungen

Selbst das Schulfach Musik könnte zur geographischen Vielfalt beitragen durch ein Konzert „Lieder der Welt“, was wiederum in Verbindung mit dem Geographielehrer denkbar ist, der die Lage der Länder, aus denen die Lieder stammen, auf einer Karte markiert und vielleicht auch Hinweise zum Inhalt des jeweiligen Liedes geben kann.

Eine besonders aufwendige, gleichwohl auch lohnende Aufgabe ist es, wenn  eine ganze Schule ihre Aktivitäten während eines Schuljahres unter ein geographisches Motto stellte, und wenn es nur ein Kontinent wäre, der im Mittelpunkt aller Veranstaltungen stünde: Jedes Fach würde versuchen, durch einen eigenen spezifischen Beitrag den Kontinent vorzustellen.

Neben den hauseigenen Ausstellungen sind von den Umweltverbänden, den Kirchen (Miserior, Brot für die Welt) oder Ministerien oft Ausstellungen zu geographischen Themen abrufbar, die allerdings in der Regel entweder selbst abgeholt oder für die Transportkosten von der Schule übernommen werden müssen. Der Aufwand lohnt sich erfahrungsgemäß aber immer, vor allem dann, wenn die Ausstellung im Schulhaus nicht sich selbst überlassen wird, sondern wenn vom Fach Geographie organisierte Führungen angeboten und durchgeführt werden.

Aktuelle Ereignisse oder: Die Überwindung der Betroffenheit

Schließlich sollte es das Fach Geographie sein, das – auch in Zusammenarbeit mit anderen Fächern – aktuelle Ereignisse erheblicher Bedeutung anhand von Karten, Texten und aktuellen Zeitungsausschnitten erläutert. Damit könnte es gelingen, bei bestimmten Ereignissen die „Betroffenheit“ zu umgehen, wie sie bei Naturkatastrophen  oder beispielsweise beim Ausbruch des Irak-Krieges im März 2003 von vielen Schülern festgestellt und möglicherweise auch von Seiten nicht-geographischen Unterrichts erzeugt werden sollte.

„Betroffenheit“ gehört zu einer Gruppe von Kategorien, die vermeintlich Übereinkunft in der didaktischen Diskussion über Unterricht von heute sind und die Giesecke unter der Überschrift „Didaktischer Subjektivismus“ subsummiert hat: Handlungsorientierung, Verkopfung, Fächerintegration, Soziales Lernen, Schülerorientierung u.a. (vgl. Giesecke 1996, S. 247 ff.) .

Wer nur mit dem Gefühl seines Betroffenseins „urteilt“, hat überhaupt kein sachlich begründetes Urteil, sondern folgt eben seinem Gefühl, das sich in Übereinstimmung oder auch nicht mit einem Vorgang in der Welt befindet und dementsprechend reagiert: positiv bei Übereinstimmung, negativ bei Abweichung. (…) Schüler reproduzieren in ihrer Betroffenheit nichts weiter, als was sie ohnehin im Herzen und im Kopf haben. Ein Fortschritt im Erkenntnisprozess, im Begreifen eines Vorgangs, durch den sie betroffen gemacht wurden, wird deshalb mit Unterrichtsprojekten, die auf Betroffenheit zielen, nicht geleistet. Das ist aber auch gar nicht intendiert. Vielmehr wird direkt auf eine Verhaltensänderung gezielt, die sich durch Einfühlung und mehr Verständnis haben für die Lage von Benachteiligungen einstellen soll. (Gutte in Giesecke 1996, S. 252).

Der Geographieunterricht könnte damit die eigentlich von Anfang an  gebotene Sachlichkeit der Darstellung zur Geltung kommen lassen. Eigentümlich ist allerdings, dass es vorkommt, dass sich die Schüler ihre Subjektivität, wie sie in „Betroffenheit“ deutlich wird, nicht nehmen lassen wollen.

Nachdem sich die SMV nicht dazu in der Lage gesehen hatte, zu der anlässlich des Valentinstages mitten im Winter  vorgesehenen Rosen-Verschenk-Aktion Blumen zu organisieren, die ihren günstigen Einkaufspreis nicht der ökologisch und sozial schädlichen  Produktion in einem tropischen Land verdanken, schlug der Geographielehrer seinen Siebtklässlern vor, doch wenigstens in einer Ausstellung auf die Problematik hinzuweisen. Sie lehnten protestierend ab: „Sie wollen uns auch alles kaputt machen!“

Literatur:

Adam, Karl (2002): Die deutsche Bildungsmisere. PISA und die Folgen. (Berlin, München).

Bayerwaltes, Marga (2002): Große Pause! Nachdenken über Schule. (München.); Giesecke, Hermann, 1996; Wozu ist die Schule da? Die neue Rolle von Eltern und Lehrern. (Stuttgart.).

Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD (Hrsg.), (2002): Bildung auf einen Blick. OECD-Indikatoren 2002. (Paris.).

Schwab, Hans-Rüdiger (1997): Philipp Melanchthon. der Lehrer Deutschlands. Ein biographisches Lesebuch. 2. Aufl., München.

 

Aus: Schallhorn, Eberhard (Hrsg.): Erdkunde-Diadaktik. Praxishandbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2004, S. 34-43.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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